Werner Mikus, 3. April 2015

Die Haltet-den-Dieb-Technik – bewährt und zweischneidig

Das Seelische hat die Angewohnheit, immer dann wenn es sich selbst nicht mehr zu verstehen droht, nach etwas zu greifen, was die Dinge wieder in die Reihe bringt. Leider ist dieses Mittel dann aber auch immer von zweischneidiger Natur. Aber wie kommt es dazu? Der Mensch möchte sich nicht verlieren und in einen Zustand geraten, in welchem die Verhältnisse, die ihn tragen, plötzlich beginnen, auf eine entfesselte Weise ihr Wesen zu treiben (und das gilt nicht nur für die ganz persönlichen, sondern auch für die übergreifenden, gesellschaftlich-politischen Verhältnisse). Bevor es erst richtig dazu kommt, erfindet sich das Seelische eine Art von „Krankheit“ – also ein irgendwie benennbares Leid – frei nach der Methode „Haltet-den-Dieb“. Jetzt weiß das Seelische endlich wieder, wie alles zusammengeht – wenn nur dies und das getan oder geheilt werden könnte. Das Unheimliche eines sich nicht mehr Selbst-Verstehenden Ganzen ist damit erst einmal gebannt.

Der Preis

Was ist der Preis dafür?
Das ist einfach zu beantworten: Man hat sich von nun an dauerhaft „verloren“ in einem Programm, das alles bestimmen will. Was hilft, wenn wir uns persönlich in so ein Programm verloren haben? Der Betreffende muss die Möglichkeit finden, zu erfahren, dass sich sein Rettungsversuch gegen sich selbst verkehrt (also sein Kranksein, sein Festmachen allen Übels an einer ausgemachten „Stelle“).  In dem „Projekt“ einer therapeutischen Arbeitsbeziehung kann dies wie in einem Gleichnis erfahren werden: Der Betreffende erfährt, dass er eben nicht in den Entfesselungen einer verrückten seelischen Wirkungswelt verloren geht, wenn er sich wie in der therapeutischen Beziehung geschehen, seinen Abkürzungsversuchen stellt.

Wie kann echte Veränderung entstehen?

Warum geht der Betroffene nicht in seinen Abkürzungsversuchen unter? Weil er in gemeinsamer Arbeit mit dem Therapeuten (Therapie-Projekt) erfährt, wie etwas nachträglich! einen ganz anderen und neuen Sinn erfahren kann. Und das, obwohl sich das Seelische in einer nicht ungefährlichen Abkürzung verloren hat, die sich auch im gemeinsamen Projekt der Therapie durchsetzen würde, wenn nicht der Therapeut in der Lage wäre, auf die bisher ungenutzten aber doch vorhandenen Spielräume einzugehen. Die so auf die therapeutische Bühne gebrachte Verselbständigung (das Programm des Klienten betreffend) ist es aber grade, die den Betroffenen im Weiteren nun zu einer haltungsrelevanten (und lebensverändernden) neuen Erfahrung bringt. Und diese Haltung sagt, dass alle Sinnbildung nachschaffend ist und es allein darauf ankommt, dass wir dem Vorausgegangenen durch das ihm Nachfolgende einen Sinn verleihen. Genauer gesagt: Das was am Ende dasteht, gibt dem Vorangegangenen immer erst seinen Sinn; Und das, was dann dasteht (das Werk, die erlösende Tat z.B.) muss für sich selber sprechen, das ist wichtig: Es kann sich nicht durch ein Schöndenken oder durch sonst einen Psychotrick ersetzen lassen. Tatsächlich können wir auf diesem Wege aus den unglücklichen Abkürzungsversuchen, die uns zuletzt in die Therapie getrieben haben, auch dadurch schon etwas Neues machen, dass wir sie entschlossen zum Anlass nehmen, an einer neuen krisenbereiteren Haltung zu arbeiten.

Eine neue Haltung wird entwickelt

Der zweischneidige Rettungsversuch wird zwar als dumme Abkürzung erkannt, aber kann im Weiteren, durch die Entwicklung einer neuen Haltung, auch liebevoll gewürdigt werden. Dieser zweischneidige Rettungsversuch erhält also durch das Nachfolgende erst seinen definiten Sinn (und deshalb kommt es grade auf das was nachfolgt an und nicht auf ein Herumdoktern am Leiden selbst). Danach läuft das Seelische gleichsam „gesund“ weiter mit seinen neuen Veränderungspielräumen bis zur nächsten Schleife. 🙂
Gut, es gibt auch schlimmere Problemlagen in dem sogenannten Seelischen – darüber aber an anderer Stelle mehr. Man vergisst bei diesem Thema leider immer die eher einfach gelagerten und überall anzutreffenden Fälle, von denen ich hier im Augenblick spreche. Dabei handelt es sich um Zusammenhänge, die sich – wie oben schon kurz erwähnt – übrigens ebenso in den großformatig übergreifenden Zusammenhängen des Seelischen aufzeigen lassen, also auch im Bereich des politisch-gesellschaftlichen Geschehens.

Zum Schluss – eine wichtige Voraussetzung für alles

Unsere Zeit hat nicht gelernt, den „Dingen“ selbst etwas Seelisches zuzugestehen. Das Buch, der gute Film, oder auch der erwachende Frühling in der Natur z.B., das sind alles „Dinge“, die eine Wirkung tun. Die machen etwas mit uns. Gestehen wir diesen Dingen aber keine eigene seelische Wirklichkeit zu, dann fehlt uns etwas Entscheidendes:
Es existieren dann eben nicht diese wunderbaren „Dinge“, die uns durch ihre „Fürsprache“ in manchen Fällen gleichsam erlösen bzw. von andrängenden Zweifeln befreien können. Es gibt dann nichts (außer uns Ich-Riesen selbst) das uns „an die Seite nehmen“ und zu uns „sprechen“ könnte: „Hey, das, was aus „mir“ jetzt geworden ist (und es spräche dann das unerwartete Ergebnis einer bestimmten Sache selbst) das habe ich genau dem Ereignis zu  verdanken, das ‚gestern‘ für „uns“ noch ein Missgeschick und Unglück war.“

Wenn wir dem Seelischen also nicht eine eigene, bewertende Wirklichkeit zugestehen wollen, die (locker gesagt) eben auch „außerhalb“ von uns selbst existiert, und mit der wir – ohne große Schwierigkeiten – auch in einem guten Kontakt stehen können, dann sind wir allerdings auf uns selbst zurückgeworfen und damit, wie ich glaube, hoffnungslos überfordert. Die Dinge müssen vielmehr selbst zu uns und zu der Welt überhaupt „sprechen“ dürfen: Sie sagen uns z.B. „Gut gemacht, so macht es einen Sinn“ oder natürlich auch umgekehrt. Wenn wir den „Dingen“ so etwas nicht zubilligen, praktizieren wir am Ende nur eine gut verkleidete Form vermeintlicher Überlegenheit, oder böse ausgedrückt, menschlicher „Hybris“.